Auswahl aus Lichtenbergs Sudelbüchern
Die hier präsentierte Aphorismen-Auswahl aus Lichtenbers
Sudelbüchern basiert auf der Ausgabe von Wolfgang
Promies, G.C. Lichtenberg "Schriften und Briefe",
Bd. 1, 1968 und Bd. 2, 1971.
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[A 19]
Die größten Dinge in der Welt werden durch andere zuwege
gebracht, die wir nichts achten, kleine Ursachen, die wir übersehen,
und die sich endlich häufen.
[A 46]
Heftigen Ehrgeiz und Mißtrauen habe ich noch allemal beisammen
gesehen.
[A 119]
Kein Fürst wird jemals den Wert eines Mannes durch seine
Gunst bestimmen, denn es ist ein Schluß, der nicht auf eine
einzige Erfahrung etwa gegründet ist, daß ein Regent
meistens ein schlechter Mann ist. Der in Frankreich backt Pasteten
und betrügt ehrliche Mädgen, der König von Spanien
haut unter Pauken und Trompeten Hasen in Stücken, der letzte
König in Polen der Kurfürst von Sachsen war schoß
seinem Hofnarren mit dem Blasrohr nach dem Arsch, der Fürst
von Löwenstein beklagt bei einem großen Brand nichts
als seinen Sattel, der Landgraf von Kassel fährt einer Tänzerin
zu Gefallen in der Suite eines Fürsten der nicht viel mehr
ist als er und wird durch die erbärmlichsten Leute betrogen,
der Herzog von Württemberg ist ein Wahnsinniger, der König
von Engelland macht....... Engelländerin P...., der Fürst
von Weilburg badet sich öffentlich in der Lahn; die meisten
übrigen Beherrscher dieser Welt sind Tambours, Fouriers,
Jäger. Und dieses sind die Obersten unter den Menschen; wie
kann es denn in der Welt nur erträglich hergehen; was helfen
die Einleitungen ins Kommerzien-Wesen, die arts de s'enrichir
par l'agriculture, die Hausväter, wenn ein Narr der Herr
von allen ist, der keine Oberen erkennt, als seine Dummheit, seine
Caprice, seine Huren und seinen Kammer-Diener, o wenn doch die
Welt einmal erwachte, und wenn auch drei Millionen am Galgen stürben,
so würden doch vielleicht 50 bis 80 Millionen dadurch glücklich;
so sprach einst ein Peruquenmacher in Landau auf der Herberge,
man hielt ihn aber mit Recht für völlig verrückt,
er wurde ergriffen, und von einem Unteroffizier noch ehe er in
Verhaft gebracht wurde mit dem Stock todgeschlagen, der Unteroffizier
verlor den Kopf.
[A 137]
Weiser werden heißt immer mehr und mehr die Fehler kennen
lernen, denen dieses Instrument, womit wir empfinden und urteilen,
unterworfen sein kann. Vorsichtigkeit im Urteilen ist was heutzutage
allen und jeden zu empfehlen ist, gewönnen wir alle 10 Jahre
nur eine unstreitige Wahrheit von jedem philosophischen Schriftsteller,
so wäre unsere Ernde immer reich genug.
[B 1]
Wenn er seinen Verstand gebrauchen sollte, so war es ihm als wenn
jemand, der beständig seine rechte Hand gebraucht hat, etwas
mit der linken tun soll.
[B 85]
Der Mann zu sein, der so absolut in Deutschland herrschen könnte
wie ich auf meinem Schreibtische, wünsche ich mir nie, ich
würde gewiß nur Dintenfässer umwerfen, und durch
Aufräumen die Sachen nur noch mehr verwirren.
[B 123]
Der Stolz des Menschen ist ein seltsames Ding, es läßt
sich nicht sogleich unterdrücken, und guckt, wenn man das
Loch A zugestopft hat, ehe man sichs versieht zu einem andern
Loch B wieder heraus und hält man da zu, so steht er hinter
dem Loch C usw.
[B 344]
Ein gewisser Freund den ich kannte pflegte seinen Leib in drei
Etagen zu teilen, den Kopf, die Brust und den Unterleib, und er
wünschte öfters, daß sich die Hausleute der obersten
und der untersten Etage besser vertragen könnten.
[B 387]
Es kann nicht alles ganz richtig sein in der Welt weil die Menschen
noch mit Betrügereien regiert werden müssen.
[B 389]
Es tun mir viele Sachen weh, die andern nur leid tun.
[B 394]
Ich warf allerlei Gedanken im Kopf herum bis endlich folgender
obenhin zu liegen kam.
[C 103]
Aus der Weisheit Gottes manche Sachen schließen zu wollen
ist nicht viel besser, als es aus seinem eigenen Verstand zu tun.
[C 158]
Es war ihm unmöglich die Wörter nicht in dem Besitz
ihrer Bedeutungen zu stören.
[C 194]
Ich habe sehr oft schon darüber nachgedacht, worin sich eigentlich
das große Genie von dem gemeinen Haufen unterscheidet. Hier
sind einige Bemerkungen, die ich gemacht habe. Der gewöhnliche
Kopf ist immer der herrschenden Meinung und der herrschenden Mode
konform, er hält den Zustand in dem sich alles jetzt befindet
für den einzig möglichen und verhält sich leidend
bei allem. Ihm fällt nicht ein, daß alles von der Form
der Meublen bis zur feinsten Hypothese hinauf in dem großen
Rat der Menschen beschlossen werde, dessen Mitglied er ist. Er
trägt dünne Sohlen an seinen Schuhen, wenn ihm gleich
die spitzen Steine die Füße wund drücken, er läßt
die Schuh-Schnallen sich durch die Mode bis an die Zehen rücken,
wenn ihm gleich der Schuh öfters stecken bleibt. Er denkt
nicht daran, daß die Form des Schuhs so gut von ihm abhängt,
als von dem Narren, der sie auf elendem Pflaster zuerst dünne
trug. Dem großen Genie fällt überall ein: könnte
auch dieses nicht falsch sein? Er gibt seine Stimme nie ohne
Überlegung. Ich habe einen Mann von großen Talenten
gekannt, dessen ganzes Meinungs-System, so wie sein Meubeln -Vorrat,
sich durch eine besondere Ordnung und Brauchbarkeit unterschied,
er nahm nichts in sein Haus auf, wovon er nicht den Nutzen deutlich
sah, etwas anzuschaffen, bloß weil es andere Leute hatten,
war ihm unmöglich. Er dachte, so hat man ohne mich beschlossen,
daß es sein soll, vielleicht hätte man anders beschlossen,
wenn ich mit dabei gewesen wäre. Dank sei es diesen Männern,
daß sie zuweilen wenigstens wieder einmal schütteln,
wenn es sich setzen will, wozu unsere Welt noch zu jung ist. Chineser
dürfen wir noch nicht werden. Wären die Nationen ganz
von einander getrennt, so würden vielleicht alle obgleich
auf verschiednen Stufen der Vollkommenheit zu dem chinesischen
Stillstand gelangt [sein].
[C 223]
Die Katholiken bedenken nicht, daß der Glauben der Menschen
sich auch ändert, wie überhaut die Zeiten und Kenntnisse
der Menschen. Hier zunehmen und dort stille stehn ist den Menschen
unmöglich. Selbst die Wahrheit bedarf zu andern Zeiten wieder
einer andern Einkleidung um gefällig zu sein.
[C 229]
Zwei auf einem Pferd bei einer Prügelei ist ein schönes
Sinnbild für eine Staatsverfassung. |
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[C 234]
Dies haben unsere Vorfahren aus gutem Grunde so geordnet, und
wir stellen es aus guten Grunde nun wieder ab.
[C 303]
Newton hat die Farben zu scheiden gewußt, wie wird der Psycholog
heißen, der uns sagen wird woraus die Ursachen unsrer Handlungen
zusammengesetzt sind? Die meisten Dinge wenn sie uns merklich
werden sind schon zu groß, ob ich den Keim in der Eichel
mit dem Mikroskop oder den 200jährigen Baum mit bloßen
Augen ansehe, so bin ich gleich weit vom Anfang. Das Mikroskop
dient nur uns noch mehr zu verwirren. So weit wir mit unsern Tubis
reichen können sehen wir Sonnen, um die sich wahrscheinlich
Planeten drehen; daß in unserer Erde so etwas vorgeht, davon
überführt uns die Magnet-Nadel. Wie wenn sich dieses
noch weiter erstreckte, wenn sich in dem kleinsten Sandkörnchen
ebenso Stäubchen um Stäubchen drehten, die uns so zu
ruhen scheinen, wie die Fixsterne? Es könnte Wesen geben,
dem das uns sichtbare Weltgebäude wie ein glühender
Sandhaufen vorkäme. Die Milchstraße kann ein organischer
Teil sein, inwieferne ließe sich die Vegetation aus diesem
System erklären? Es gibt nur eine einzige grade Linie, aber
eine unendliche Menge krummer, wenn sich also ein Körper
bewegt, so läßt sich eine unendliche Summe gegen eins
setzen, daß es eine krumme sei, und für jede Krümmung
läßt sich ein Mittelpunkt angeben. Da sich eine zirkelförmige
Bewegung in der Welt am längsten erhält, wie wir an
den Planeten sehen, sowohl an ihren Bewegungen um die Axe als
um die Sonne und Hauptplaneten, so könnte alle Bewegung in
der Welt daher ihren Ursprung nehmen. Das Licht allein scheint
hiervon eine Ausnahme zu machen, da es aber vermutlich schwer
ist, so wird es doch gebogen. Da schon große Meßkünstler
angenommen haben daß sich dieses ganze System um einen uns
unsichtbaren Körper drehe, warum könnte unsere Erdkugel
nicht ein solches System von Fixsternen sein? Hier sitzen wir
in einer solchen Sandkugel. Unsere Erde ist uns freilich das Sonderbarste,
so wie unsere Seele die sonderbarste Substanz, weil wir jene allein
selbst bewohnen, und diese allein selbst sind. Wenn wir nur einen
Augenblick einmal etwas anderes sein könnten. Was würde
aus unserm Verstand werden, wenn alle Gegenstände das würklich
wären wofür wir sie halten? Z.U.
[C 324]
Eine Hauptregel für Schriftsteller, zumal solche, die ihr
eigne Empfindungen beschreiben wollen, ist: Ja nicht zu glauben,
daß, weil sie solches tun, dieses bei ihnen eine besondere
Anlage der Natur dazu anzeige. Andere können dieses vielleicht
ebenso gut als du. Sie machen nur kein Geschäfte daraus,
weil es ihnen einfältig vorkommt solche Dinge bekannt zu
machen.
[C 345]
Große Leute fehlen auch, und manche darunter so oft, daß
man fast in die Versuchung gerät sie für kleine zu halten.
[C 375]
Die Menschen können nicht sagen, wie sich eine Sache zugetragen,
sondern nur wie sie meinen, daß sie sich zugetragen hätte.
[D 29]
Schwachheiten schaden uns nicht mehr sobald wir sie kennen.
[D 139]
Heutzutage machen drei Pointen und eine Lüge einen Schriftsteller.
[D 331]
Daß der Mensch das edelste Geschöpf sei läßt
sich auch schon daraus abnehmen, daß es ihm noch kein anderes
Geschöpf widersprochen hat.
[D 399]
Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt
hohl, ist das allemal im Buch?
[D 451]
Der Mann hatte so viel Verstand, daß er fast zu nichts mehr
in der Welt zu gebrauchen war.
[D 474]
Bemühe dich nicht unter deiner Zeit zu sein.
[D 475]
Er war ein solcher aufmerksamer Grübler, ein Sandkorn sah
er immer eher als ein Haus.
[D 516]
Wäre damals ein Zoll auf die Gedanken gelegt worden,
sie wäre gewiß insolvent geworden. |
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[D 576]
B. Aber Remus ist doch gewiß ein ehrlicher Mann.
A. Das glaube ich, der hat sonst weiter nichts zu tun.
[D 584]
Er war sonst ein Mensch wie wir, nur mußte er stärker
gedrückt werden um zu schreien. Er mußte zweimal sehen
was er bemerken, zweimal hören was er behalten sollte, und
was andere nach einer einzigen Ohrfeige unterlassen, unterließ
er erst nach der zwoten.
[D 604]
Grade das Gegenteil tun heißt auch nachahmen, es heißt
nämlich das Gegenteil nachahmen.
[D 640]
Man kann, was einer erfindet, immer ansehen als hätte er
es verloren, es ist nur so zu reden verlegt in seinem Kopf, wer
nichts in seinem Kopf verloren hat kann nichts finden.
[E 54]
Um witzig zu schreiben muß man sich mit den eigentlichen
Kunstausdrücken aller Stände gut bekannt machen, ein
Hauptwerk in jedem nur flüchtig gelesen ist hinlänglich.
Denn was ernsthaft seicht ist, kann witzig tief sein.
[E 154]
Deutsche Charaktere. Das ist die schon hundertmal hergeleierte
Klage der allgemeinen Bibliothek, über der einem fast alle
Gedult ausgehen mögte. Ich frage gleich: Was ist ein deutscher
Charakter? Was? Nicht wahr, Tabakrauchen und Ehrlichkeit? O Ihr
einfältigen Tröpfe. Hört seid so gut und sagt mir,
was ist es für Wetter in Amerika? Soll ichs statt eurer sagen?
Gut. Es blitzt, es hagelt, es ist dreckig, es ist schwül,
es ist nicht auszustehn, es schneit, friert, wehet und die Sonne
scheint.
[E 171]
Daß man seine Gegner mit gedruckten Gründen überzeugen
kann, habe ich schon seit dem Jahr 1764 nicht mehr geglaubt. Ich
habe auch deswegen die Feder gar nicht angesetzt, sondern bloß
um sie zu ärgern, und denen von unserer Seite Mut und Stärke
zu geben und den andern zu erkennen zu geben, daß sie uns
nicht überzeugt haben.
[E 213]
Wenn die Menschen plötzlich tugendhaft würden,
so müßten viele Tausende verhungern. |
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[E 215]
Ein Buch ist ein Spiegel, wenn ein Affe hineinguckt, so kann freilich
kein Apostel heraus sehen. Wir haben keine Worte mit dem Dummen
von Weisheit zu sprechen. Der ist schon weise der den Weisen versteht.
[E 243]Die große Regel: Wenn dein Bißgen
an sich nichts Sonderbares ist, so sage es wenigstens ein bißgen
sonderbar.
[E 248]
Daß es wahr ist, das hätte nichts zu bedeuten, allein
die Leute glaubens, das ist den Teufel.
[E 252]
Briefe über die neuste Literatur: und ich dank es dem lieben
Gott tausendmal, daß er mich zum Atheisten hat werden lassen.
[E 286]
Es gibt Leute, die glauben, alles wäre vernünftig, was
man mit einem ernsthaften Gesicht tut.
[E 299]
Die Wege sind mit Nimmergrün besetzt.
[F 52]
Das Wohl mancher Länder wird nach der Mehrheit der Stimmen
entschieden, da doch jedermann eingesteht, daß es mehr böse
als gute Menschen gibt.
[F 326]
Wahrhaftes unaffektiertes Mißtrauen gegen menschliche Kräfte
in allen Stücken ist das sicherste Zeichen von Geistesstärke.
[F 373]
So wie ein Taubstummer lesen und Sprachen lernt, so können
wir auch Dinge tun deren Umfang wir nicht kennen, und Absichten
erfüllen, die wir nicht wissen. Er spricht für einen
Sinn, den er selbst nicht hat.
[F 512]
Der Mensch hat einen unwiderstehlichen Trieb zu glauben man sähe
ihn nicht wenn er nichts sieht. Wie die Kinder, die die Augen
zuhalten um nicht gesehen zu werden.
[F 521]
Wenn die Physiognomik das wird, was Lavater von ihr erwartet,
so wird man die Kinder aufhängen ehe sie die Taten getan
haben, die den Galgen verdienen, es wird also eine neue Art von
Firmelung jedes Jahr vorgenommen werden. Ein physiognomisches
Auto da Fe.
[F 536]
Ein kluges Kind, das mit einem närrischen erzogen wird, kann
närrisch werden. Der Mensch ist so perfektibel und korruptibel,
daß er aus Vernunft ein Narr werden kann.
[F 864]
Daß die Menschen so oft falsche Urteile fällen rührt
gewiß nicht allein aus einem Mangel an Einsicht und Ideen
her, sondern hauptsächlich davon, daß sie nicht jeden
Punkt im Satz unter das Mikroskop bringen, und bedenken.
[F 991]
Es waren eigentlich nur 2 Personen in der Welt, die er mit Wärme
liebte, die eine war jedesmal sein größter Schmeichler,
und die andere war er selbst.
[G 13]
Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein
Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu sengen.
[G 18]
Wer sich selbst recht kennt, kann sehr bald alle anderen Menschen
kennen lernen.
[G 33]
Ist es nicht sonderbar, daß man das Publikum, das uns lobt,
immer für einen kompetenten Richter hält; aber sobald
es uns tadelt, es für unfähig erklärt, über
Werke des Geistes zu urteilen?
[G 75]
Wie glücklich würde mancher leben, wenn er sich um anderer
Leute Sachen so wenig bekümmerte, als um seine eigenen.
[G 234]
Die Neigung der Menschen, kleine Dinge für wichtig zu halten,
hat sehr viel Großes hervorgebracht.
[H 31]
Wer in sich selbst verliebt ist, hat wenigstens bei seiner Liebe
den Vorteil, daß er nicht viele Nebenbuhler erhalten wird.
[H 52]
Die Lüftung der Nation kommt mir zur Aufklärung derselben
unumgänglich nötig vor. Denn was sind die Menschen anders
als alte Kleider? Der Wind muß durchstreichen. Es kann sich
jedermann die Sache vorstellen, wie er will; allein ich stelle
mir jeden Staat wie einen Kleiderschrank vor und die Menschen
als die Kleider desselben. Die Potentaten sind die Herren, die
sie tragen, und zuweilen bürsten und ausklopfen, und wenn
sie sie abgetragen haben, die Tressen ausbrennen und das zeug
wegschmeißen. Aber die Lüftung fehlt; ich meine, daß
man sie auf den Boden hängt. Wenn der Kaiser einmal seine
ungarischen Schafe auf den Sand in der Mark triebe, und der König
von Preußen die seinigen in Ungarn weiden ließe, was
würde da nicht die Welt gewinnen!
[H 54]
Es ist sehr gut, die von andern hundertmal gelesenen Bücher
immer noch einmal zu lesen, denn obgleich das Objekt einerlei
bleibt, so ist doch das Subjekt verschieden.
[J 521]
Die meisten Glaubens-Lehrer verteidigen ihre Sätze, nicht
weil sie von der Wahrheit derselben überzeugt sind, sondern
weil sie die Wahrheit derselben einmal behauptet haben.
[J 547]
Eine Welt, wo die Menschen als Greise geboren werden, und immer
frischer werden, endlich Kinder, die immer an Ketschigkeit zunehmen,
bis man sie endlich in eine Bouteille sperrt, wo sie nach 9 Monaten
alles Leben verlieren, nachdem sie so klein geworden sind, daß
man 10 Alexander auf einem Butterbrod verschlingen könnte.
Die Mädchen von 50 bis 60 Jahren finden ein besonderes Vergnügen
daran, die klein gewordene Alte auf Bouteillen zu ziehn.
[J 640]
Ich habe überhaupt sehr viel gedacht, das weiß ich,
mehr, als ich gelesen habe. Es ist mir daher sehr Vieles von dem
unbekannt, was die Welt weiß, und daher irre ich auch oft,
wenn ich mich in die Welt mische, und dieses macht mich schüchtern.
Könnte ich das alles, was ich zusammen gedacht habe, so sagen,
wie es in mir ist, nicht getrennt, so würde es gewiß
den Beifall der Welt erhalten.
[J 688]
Sehr viele und vielleicht die meisten Menschen müssen, um
etwas zu finden, erst wissen, daß es da ist.
[J 787]
Vom Wahrsagen läßt sich wohl leben, aber nicht vom
Wahrheit sagen.
[J 948]
Man ist nie glücklicher, als wenn uns ein starkes Gefühl
bestimmt, nur in dieser Welt zu leben. Mein Unglück
ist nie in dieser sondern in einer Menge von möglichen
Ketten von Verbindungen zu existieren, die sich meine Phantasie
unterstützt von meinem Gewissen schafft, so geht ein
Teil meiner Zeit hin, und keine Vernunft ist im Stand darüber
zu siegen. Dieses verdiente sehr auseinander gesetzt zu werden.
Lebe dein erstes Leben recht, damit du dein zweites genießen
kannst. Es ist immer im Leben wie mit der Praxis des Arztes, die
ersten Schritte entscheiden. Das ist doch Unrecht irgendwo, in
der Anlage oder im Urteil?
[K 30]
Wenn ich doch Kanäle in meinem Kopfe ziehen könnte,
um den inländischen Handel zwischen meinem Gedankenvorrate
zu befördern! Aber da liegen sie zu Hunderten, ohne einander
zu nützen.
[K 37]
Ich bin mehrmal wegen begangener Fehler getadelt worden, die mein
Tadler nicht Kraft oder Witz genug hatte, zu begehen.
[K 46]
Nichts schmerzt mich mehr, bei allem meinem Tun und Lassen, als
daß ich die Welt so ansehen muß, wie der gemeine Mann,
da ich doch szientifisch weiß, daß er sie falsch ansieht.
[K 76]
Wir werden uns gewisser Vorstellungen bewußt, die nicht
von uns abhängen; andere glauben, wir wenigstens hingen von
uns ab; wo ist die Grenze? Wir kennen nur allein die Existenz
unserer Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken. Es denkt,
sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu sagen
cogito, ist schon zu viel, so bald man es durch Ich
denke übersetzt. Das Ich anzunehmen, zu postulieren,
ist praktisches Bedürfnis.
[K 78]
Ich entschuldige immer das Theorisieren, es ist ein Trieb der
Seele, der nützen kann, sobald wir einmal hinreichende Erfahrung
haben. So könnten alle unsere jetzigen theorisierenden Torheiten
Triebe sein, die erst künftig ihre Anwendung finden.
[K 101]
Es gibt eine Menge kleiner moralischer Falschheiten, die man übt,
ohne zu glauben, daß es schädlich sei; so wie man etwa
aus ähnlicher Gleichgültigkeit gegen seine Gesundheit
Tabak raucht.
[K 125]
Die Leute, die niemals Zeit haben, tun am wenigsten. |
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[K 172]
Eine seltsamere Ware, als Bücher, gibt es wohl schwerlich
in der Welt. Von Leuten gedruckt, die sie nicht verstehen; von
Leuten verkauft, die sie nicht verstehen; gebunden, rezensiert
und gelesen von Leuten, die sie nicht verstehen; und nun gar geschrieben
von Leuten, die sie nicht verstehen.
[K 197]
Um über gewisse Gegenstände mit Dreistigkeit zu schreiben,
ist fast notwendig, daß man nicht viel davon versteht. Auch
geht es gut an, wo der Gegenstand noch wenig bekannt ist. Unstreitig
hat man sehr viel mehr vom Vielfraß zu erzählen
gewußt, da er noch wenig gekannt war, als jetzt, da man
ihn kennt.
[K 234]
Mit der christlichen Religion läßt sich Staat machen,
aber wahrlich mit den Christen sehr wenig.
[K 235]
Man wäscht am Gründonnerstag 12 Männern oder Weibern
die Füße, und dafür das ganze Jahr hindurch allen
übrigen Untertanen die Köpfe.
[K 259]
In jeder Fakultät sollte wenigstens Ein recht tüchtiger
Mann sein. Wenn die Scharniere von gutem Metall sind, so kann
das übrige von Holz sein.
[K 265]
Gewissen Menschen ist ein Mann von Kopf ein fataleres Geschöpf,
als der deklarierteste Schurke.
[K 293]
Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird wenn es
anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muß anders
werden, wenn es gut werden soll.
[L 686]
Ein großes Licht war der Mann eben nicht, aber ein großer
(bequemer) Leuchter. Er handelt mit anderer Leute Meinungen.
[L 705]
Ist es nicht sonderbar, daß die Menschen so gerne für
die Religion fechten, und so ungerne nach ihren Vorschriften
leben?
[L 972]
Ich glaube der Mensch ist am Ende ein so freies Wesen, daß
ihm das Recht zu sein was er glaubt zu sein nicht streitig
gemacht werden kann.
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