Lichtenberg-Gesellschaft
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Aktuelles: Nachruf auf Wolfgang Promies Nachruf auf Wolfgang Promies von Helmut Böhme Liebe Ute, liebe Familie, Trauernde, Kollegen, Studierende, Freunde von Wolfgang Promies, im Namen des Fachbereiches, dem Wolfgang Promies zugehörte, soll ich in dieser Stunde einige Worte sagen, von denen ich weiß, dass sie weder zu trösten vermögen noch die Trauer aufheben können. Angesichts des Todes unseres Kollegen mit dem mich eine jahrelange Freundschaft verband fällt mir dies schwer. Trotzdem will ich es versuchen, zumal er mit mir in den letzten Jahren in Seminaren (auch mit unserem Architekten-Kollegen Andreas Brandt) Erkundungen unternahm um sich, nach seiner "leuchtenden Spur" mit Lichtenberg, ein neues Feld zu erschließen; mit Sprache, Tradition und neuformulierter Verantwortung der Narrheit und dem schwindenden Universalismus dieser Welt ein anderes "Denkmal" zu geben. Bedrückend knapp war die Zeit die dieser - auch sein Leben neu begründeten - Lebensphase noch gegeben war. Wir beklagen seinen Tod, den Tod eines phantasievollen, geistvollen kritischen Selbstdenkers, eines erfindungsreichen, eines wie es im Nachruf der Süddeutschen Zeitung heißt: "vielgebildeten", "vielgestaltigen", unbeirrbaren, jargonfeindlichen, sanften, fähigen Germanisten, eines neugierigen verführerischen Menschen, der zugleich beständig, zäh, unverdrossen an einer gewählten Sache hing - sei es im literarischen Sujet, sei es im Zeitgeistigen, Politischen, Moralischen, das für ihn immer zugleich Freiheit hieß als aufklärerischer Herausforderung, Demut in der Arbeit mit dem Wort und der Anstrengung um das genaue, mit Hammer und Griffel penibel geschriebene, schlichte Wort. Und dies in unnachahmlicher Weise - weil wahrer Gestik - gesteigert oft zu unwirscher Heftigkeit, wenn er konfrontiert wurde mit der Qual von Unbelesenheit, Enge oder fachstupidem Eiferertum, die allerdings von ihm immer in leidender Sensitivität aufgehoben wurde. Wolfgang Promies ist nicht mehr: was bleiben wird ist das Erbe eines Literatur- und Wortlehrers, eines Übersetzers, Essayisten, Briefkünstlers und eines eigensinnigen über die Fächergrenzen hinweg auf Verbindungen und Befruchtungen setzenden Literaten, der sowohl die unsägliche Kärrnerarbeit eines Editors meisterhaft einem Meister der knappen klaren Sentenz mit Erfolg leistete als auch die Lehre als Vermittlung des wortgetragenen, universalen keineswegs humanistisch sterilen Bildungsgutes. Und dies eindrucksvoll. Ein Freund der distanzierterenden Klarheit aber auch der emotionalen, liebebestimmten sprachkünstlerischen Selbstsuche. 1935 geboren, war seine Jugend in Magdeburg, in Hildesheim, kriegs-, brandgeprägt. Sein Studium in Göttingen, Tübingen, Wien und München in Germanistik, Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Psychologie war bereits eine Wanderung durch eine von ihm zeitlebens verfolgte interdisziplinäre Hochbildung, sein Beruf als Sprach- und Wortmittler war früh auf den neuen europäischen Rahmen - sei es als Lektor in Clermont-Ferrand oder Valladolid ausgerichtet ohne je dabei das Leid, die Schuld zu vergessen, die er als Teil des deutschen Erbes mittrug, ohne sich in Humaniora oder Unwissenheit zu verstecken, In Hannover habilitiert, wurde er in Oldenburg, an der Carl v. Ossietzky Universität Professor, war Gründungsausschussmitglied dieser Universität, Konzils- und Senatsmitglied, stellvertretender Rektor und übernahm in Darmstadt das Erbe eines widerstandsgeprägten Geistes, Walter Naumann, gleich ihm ein Spracharistokrat von feinnuancierter Multilingualität. Dieses Erbe weitete er mit den Erfahrungen eines Lektors aus dem Verlagsgeschäft (Luchterhandverlag) und schlug Brücken zu Presse, zu Theater, zur politischen Sprache. Von Anfang war die Einheit von Wort und Tat auch in der täglichen Arbeit, in der Arbeit an unserer wissenschaftlichen Hochschule, einer Technischen Universität, für ihn demonstrative Pflicht. Zugleich setzte er dabei den viel verschlungenen Wegen hochschulpolitischer Sensibilitäten ein gerades, linkes Bekennertum entgegen, dem jeder Eifer suspekt, jeder Ignoranz und Abgefeimtheit eine Scham war. Wolfgang Promies ist nicht mehr. Er wird uns fehlen, fehlen als Mahner für Qualität, für Grenzüberschreitung, für Entdeckerneugierde, als Causeur, als abgründiger Spötter der Betroffenheit zeigte; fehlen wird er uns auch beim Umbau und der Neuorientierung dieses kleinen aber so bildungstragenden Instituts, das für eine Technische Universität zuweilen wichtiger ist als alle Prozesserfolge und praktische Produktionszahlen; bleiben wird uns allerdings auch seine Herausforderung für universelle Bildung für moralisch begründete Verantwortung einzustehen mit dem einzigen Medium, das uns bildet und bindet - dem Wort. Es ist an uns sein Erbe zu bewahren, weiterzutragen, an Dir, Ute, Deinen Schmerz nicht in Hoffnungslosigkeit, sondern in neue Kraft umzusetzen, aus Erinnern das gemeinsam Erlebte nicht zu ersticken, sondern zu neuer Lebenshoffnung im Sinne seiner Liebe und Hingabe zu entwickeln. In Vorahnung von dem was da kommen könnte hat er mich vor nicht allzu langer Zeit auf Pablo Neruda hingewiesen, auf eines der - längeren - Gedichte: "Sin embargo me muevo". Dort fand ich den Anfang: "Hin und wieder fühle ich mich glücklich! So sprach ich zu dem Gelehrten der mich ungerührt untersuchte und mir nachwies, wie sehr ich irrte.." Und weiter, später: "er sollte die Lust mir doch lassen zu lieben und geliebt zu werden: einen Schatz würd` ich mir suchen für einen Monat, für `ne Woche oder für den vorletzten Tag noch - o por un penúltima diá". Und das Ende: "seither bin ich mir nicht im klaren, ob ich gehorchen soll und sterben, gemäss dem Dekret des Experten oder so wohl mich fühlen soll, wie`s mein eigener Leib mir anrät: Y en esta duda no sé / si dedicarme a meditar / o alimentareme de claveles". Er hat sich für die Nelken entschlossen und wollte
leben, entschlossen leben; heute tragen wir ihn zu Grabe: "Sin embargo
me muevo". |
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