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Aktuelles: Nachruf auf Wolfgang Promies

Wolfgang Promies verstorben
Nachrufe auf Wolfgang Promies von:
       Johann Dietrich Woerner
       Helmut Böhme
       Ulrich Joost
Eröffnungsrede auf der Jahrestagung der Lichtenberg-Gesellschaf in Ober-Ramstadt am
28. Juni 2002 anläßlich des 25 Jahrestages der Lichtenberg-Gesellschaft von Ulrich Joost
(pdf)
Ankündigung der Jahrestagung 2003

Nachruf auf Wolfgang Promies von Ulrich Joost

Verehrte Trauergemeinde, liebe Ute,

mir fällt die Aufgabe zu, im Namen unseres Instituts Abschied zu nehmen von einem seiner Direktoren, dem Inhaber des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturgeschichte und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft; dann auch Abschied zu nehmen im Namen der Lichtenberg-Gesellschaft von ihrem Mitbegründer, Präsidenten über 21 Jahre und Ehrenvorsitzenden - aber vor allem nehme ich selber Abschied von einem langjährigen Weggefährten und einem Freund. Vor 28 Jahren sind wir uns das erste Mal begegnet, 1974; Wolfgang Promies, damals schon Professor in Oldenburg, wohin er gleich nach seiner Habilitation berufen war, moderierte als unangefochtener Begründer einer modernen Lichtenbergforschung eine öffentliche Vorlesungsreihe in Göttingen. Ich, noch Student, sprach ihn an deren Rand an. Und er gab bereitwillig dem Jüngeren, dem Anfänger Auskunft.

Danach standen wir in konkurrierenden Lagern, aber es gehört zu den großen und unnachahmlichen Eigenschaften von Wolfgang Promies, dass er jederzeit zum Ausgleich, zu Kompromissen, zur Verständigung bereit war, auch und gerade, wenn er vorher selber den Krieg erklärt hatte. Wie oft sollten wir uns noch zanken, auch öffentlich, und es ging nicht immer fein dabei zu, aber genauso oft haben wir sofort danach Frieden geschlossen: mit einem Blick, einem Lächeln oder einem Händedruck, selten schwelte ein Streit länger als ein paar Stunden, nie länger als ein Tag. Das herzliche Lachen nach dem Streiten verstand er wie keiner, nie, auf mein Wort, habe ich einen Professor mit so wenig professoraler Eitelkeit und so viel Toleranz und genuinem Humor getroffen. (Seine kleinen Eitelkeiten, o ja, die hatte er, verzieh man ihm leicht, und oft waren sie sogar Tugenden.)

Einen Grund dafür kann man in dem Umstand suchen, dass er eigentlich gar kein Hochschul-, jedenfalls kein Stubengelehrter sein wollte, sondern sich als Künstlernatur sah. Er wollte ursprünglich Theaterpraktiker, vielleicht Dramaturg werden, hatte selbst als Schüler und Student Theater gespielt, in Wien bei Kindermann Theaterwissenschaften studiert. Seine allererste wissenschaftliche Publikation entstand damals, aber auch ein nie gedrucktes Theaterstück.
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Zur Wissenschaft, sagt Lichtenberg einmal, sei er gekommen wie ein Hund, immer hin und herlaufend ("und als ich ankam, war ich müde"), und auch Wolfgang Promies hat buchstäblich jeden Umweg gewählt, wenn der direkte Weg ihm nicht gradlinig und aufrichtig schien. So mochte er nicht unter einem akademischen Lehrer Karriere machen, der allzu schnell mit dem Nationalsozialismus paktiert hatte; so verließ er Wien, wurde in München promoviert, ging dann als Sprachlektor ins Ausland, wurde Verlagslektor bei Luchterhand in Neuwied und fand erst spät als Quereinsteiger zur Wissenschaft - in Nebenstunden, der Tagesarbeit abgerungenen.

Ich habe ihn alljährlich ironisch daran erinnert, dass er auf den Tag genau 150 Jahre jünger als Jacob Grimm gewesen ist. Jedoch erschöpften sich darin keineswegs alle Gemeinsamkeiten mit dem großen Begründer unseres Fachs; ich nenne nur Wolfgangs Sprachbegabung und Sprachsensibilität und sein unzweideutiges Bekenntnis zu Liberalität und Toleranz. Er war einfach mehr als ein bloßer Stubengelehrter. Seine Gedichte brachten ihm in Princeton einen Achtungserfolg bei der Gruppe 47 und die Bekanntschaft mit seinem nachmaligen akademischen Mentor Hans Mayer; an seinem Roman "Brand Ende", der in Wahrheit viel mehr war als ein Roman, sensible Wahrnehmung und Beschreibung vom Feinsten, hat er seit Studententagen geschrieben. Wer Wolfgang Promies' Beobachtungsschärfe und Darstellungsvermögen kennen lernen will, der lese darin die Beschreibung des Luftangriffs auf Halberstadt, den er als Kind selber erlebt hat.

Zu Lichtenberg war er - auch so ein Umweg - gekommen, weil sein erster Buchauftrag, eine Rowohlt-Bildmonographie über Novalis, durch ein Versehen des Lektors Kurt Kusenberg bereits anderweit vergeben war; als Alternative und Trostpflaster nahm man ihn für Lichtenberg unter Vertrag. Aus der Auftragsarbeit wurde ein kleines Meisterwerk, essayistisch und doch gediegen erforscht, wie man es so nur in ganz jungen Jahren fertig bringen kann, ein Buch, dessen Anregungskraft noch jetzt, 38 Jahre nach seinem ersten Erscheinen, nicht nachgelassen hat. Aus ihr erwuchs die große Lichtenberg-Ausgabe bei Hanser, beileibe keine Gesamtausgabe, aber Grundlage aller folgenden, modernen Lichtenberg-Forschung.
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Dass er mich nach Darmstadt geholt hat, werde ich ihm nie vergessen; er war damit zwar nicht ganz uneigennützig, aber er diente vor allem einer wichtigen und großen Sache. Wolfgang Promies träumte von einer Zentralstelle aller Lichtenberg-Forschung hier in Darmstadt - und diesen Plan hat er gegen alle Widerstände, Konkurrenzen und manche Misshelligkeiten denn auch verwirklicht. Wieviel dadurch umgekehrt die Technische Universität ihm verdankt, mag stellvertretend für das internationale Ansehen ein Blick auf unser Publikationsregal ermessen, das diese Forschungsstelle in den letzten vierzehn Jahren gefüllt hat und in seinem Geiste weiter füllen wird.

Am Ende ist Wolfgang Promies, für uns alle unfassbar, doch beim Alter geblieben, das der Psalmist uns vorgibt, sein Leben kam zwar hoch, währete aber nicht einmal 70 Jahre, und wie es da weiter heißt, "wenn es gut war, dann ist es Mühe und Arbeit gewesen": Das war es wirklich, aber Wolfgang verstand auch zu leben, lebenslang, und zumal die letzten sieben Jahre, an Utes Seite, waren das reinste und höchste Glück.

Die große Kunst des Sterbens beherrschte er mit dem Stoizismus der übermenschlich-beständigen Helden des barocken Trauerspiels. Die noch bei ihm waren in den letzten Tagen seines zum Glück kurzen Leidens werden das bestätigen. Aber die große Kunst des Abschiednehmens zu erlernen, konnte er uns bei solcher Kürze nicht mehr abnehmen.

Wir nehmen also Abschied: von einem bedeutenden Forscher und Schriftsteller, einem toleranten Kollegen und einem anregenden und zugleich liberalen Lehrer, einem unendlich humorvollen Menschen - ich muss Abschied nehmen von einem loyalen Freund. Wir werden seinesgleichen lange nicht mehr sehn.

Adieu, Wolfgang, ich werde Dich vermissen.

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